Fachartikel

Kontrolle, Haftung, Bestrafung – Drei Risikosäulen der Produktsicherheit

RA Prof. Dr. Thomas Klindt, Partner der Kanzlei Noerr LLP, Rechtsanwälte, München


Die folgenden Ausführungen widmen sich den Risiken beim Inverkehrbringen unsicherer Produkte. Sichere Produkte dagegen haben keinerlei Kontakt mit dem Produkthaftungsrecht (selbst im weitesten Sinne). Übrigens können sichere Produkte aber sehr wohl vertragswidrig sein, weil sie anders beschaffen sind als dies vertraglich vereinbart war (zum Beispiel abweichende Leistungsperformance, abweichende Farbe, abweichende Menge). Betrifft der Mangel eines Produktes dagegen seine Sicherheit im Umgang mit dem Produkt durch Benutzer und Dritte, sprechen wir von echten, „harten“ Gefährdungen, die das Recht nicht toleriert. Diese rechtliche Intoleranz ist unabhängig von vertraglichen Regeln, Absprachen oder gar einer vertraglichen Akzeptanz. Denn der Vertrag entscheidet niemals eigenmächtig darüber, wie viel Unsicherheit der Umgebung zuzumuten ist.

Auch wenn der hier skizzierte Bereich häufig verkürzend „Produkthaftungsrecht“ genannt wird, zeigen sich doch bei näherem Hinschauen drei verschiedene Risiko-Cluster, die allesamt zu vermeiden sind. Kommt es mit einem gefährlichen Produkt (zum Beispiel einer Maschine) zu einem Unfall, so hat der Geschädigte zivilrechtlich einen Anspruch auf Ersatz aller ihm entstandenen Schäden (Produkthaftungsrecht). Daneben wird die Staatsanwaltschaft eine strafrechtliche Untersuchung beginnen und gegebenenfalls eine strafgerichtliche Verurteilung anstrengen, wenn der Unfall kein Zufall, sondern menschliches Fehlverhalten war (strafrechtliche Produkthaftung). Schließlich können staatliche Produktsicherheitsbehörden, zum Beispiel Gewerbeaufsichtsämter, generell intervenieren, wenn sie einem Produkt dessen nicht akzeptable Gefährlichkeit nachweisen können. Dies gilt selbst dann, wenn es noch gar nicht zu Unfällen gekommen ist; Produktsicherheitsrecht ist also vorbeugendes Verbraucherschutz- beziehungsweise vorbeugendes Arbeitsschutzrecht.


Produkthaftungsrecht

Aufgabe des Produkthaftungsrechts ist es, bei einem konkreten Schadensfall aufgrund eines Produktsicherheitsmangels dem Geschädigten einen Anspruch in die Hand zu geben, um all seine dadurch provozierten Schäden vom verantwortlichen Hersteller ausgeglichen zu sehen. In Deutschland existieren hierfür aus historischen Gründen zwei Anspruchsgrundlagen, die zwar nicht vollständig identisch wirken, gleichwohl aber größtenteils parallel nebeneinander stehen. Zum einen greift § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der seit 1900 in unveränderter Form gilt und die Verkehrssicherungspflichten der Industrie bei der Teilnahme am Warenverkehr regelt. Zudem gibt es seit 1990 – übrigens auch als Umsetzung einer europäischen Richtlinie – das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG). Einige Unterschiede sollen nicht verschwiegen werden: So beschränkt das ProdHaftG den Schadensersatz summenmäßig auf 85 Millionen Euro, während eine solche Summenbegrenzung dem BGB fremd ist. Die Verjährungsfristen sind unterschiedlich. Zudem muss beim Fehlverhalten in § 823 BGB mindestens Fahrlässigkeit (wenn nicht Vorsatz) vorgelegen haben, weswegen man von einer so genannte Verschuldenshaftung spricht; ein vergleichbares Tatbestandsmerkmal fehlt beim Produkthaftungsgesetz vollständig (so genannte Gefährdungshaftung). Weil allerdings die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Verschiebung der Beweislast vom Geschädigten hin zum schädigenden Unternehmen mit der Pflicht zum Entlastungsbeweis vorgenommen hat, spielt dieses Unterscheidungsmerkmal in der Praxis keine große Rolle mehr.

Prinzipiell haftet also das herstellende Unternehmen für alle Schäden, die kausal durch das unsichere Produkt hervorgerufen wurden. Ohne auf Details einzugehen, betrifft dies prinzipiell sowohl menschliche „Schäden“ (Tod, Körperverletzungen, Gesundheitsbeeinträchtigungen inklusive Schmerzensgeld) als auch Sachschäden. Produkthaftungsansprüche sind über Produkthaftpflichtversicherungen versicherungsfähig. Die Rechtsprechung hat aus § 823 BGB zusätzlich die so genannte Produktbeobachtungspflicht (After-Sales-Monitoring) entwickelt, die eine wohl nie verjährende, nachwirkende Pflicht der Nachmarktbeobachtung beinhaltet: Stellt das Unternehmen fest, dass das Produkt wider Erwarten einen Produktsicherheitsmangel im Feld aufweist, wandelt sich die Produktbeobachtungspflicht in eine aktive Gefahrabwendungspflicht, was die Existenz vieler Produktrückrufe erklärt. Auch die Kosten von Produktrückrufen sind über eine Rückrufkostenversicherung abdeckbar, die aber nicht mit der Haftpflichtversicherung verwechselt werden darf.

Abschließend ist in dieser kurzen Übersicht noch darauf hinzuweisen, dass – jedenfalls prinzipiell – Produkthaftungsansprüche immer nach dem „Tatortprinzip“ behandelt und verhandelt werden. Maßgeblich für das anzuwendende Recht und den anzuwendenden Gerichtsstand ist also nicht der Sitzort des herstellenden Unternehmens, sondern der Unfallort, weswegen ein deutsches Industrieunternehmen mit kräftigem Exportgeschäft selbstverständlich auch in den verschiedensten Vertriebsländern vor Ort verklagt werden kann.


Strafrechtliche Produkthaftung

Geht ein Unfall nicht auf höhere Gewalt zurück, ist also nicht purer Zufall, sondern das Ergebnis vorwerfbarer menschlicher Fehlentscheidungen, so wirft das auch strafrechtliche Verantwortlichkeiten auf. Denkbare Delikte sind etwa fahrlässige Tötung (§ 222 Strafgesetzbuch – StGB), fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) oder fahrlässige Brandstiftung (§ 306d StGB). Im Unterschied zu anderen Staaten, in denen sich auch juristische Personen als Unternehmen strafbar machen können, bedarf es in Deutschland grundsätzlich eines personalisierten Fehlverhaltens. Die Staatsanwaltschaft wird also im Rahmen ihrer Ermittlungen untersuchen müssen, ob einer konkreten Person dezidiert ein Fehlverhalten als kausal für den späteren Unfall mit dem Produkt nachzuweisen ist. Dies kann (denklogisch) eine falsche Konstruktionsentscheidung eines Ingenieurs ebenso sein wie eine falsche Fertigungsfreigabe eines QS-Verantwortlichen wie schließlich eine falsche Designentscheidung durch einen Geschäftsführer. Es können selbstredend strafrechtlich auch mehrere Personen gleichzeitig wegen ihrer jeweiligen Tatbeiträge verantwortlich sein.

Dass in der Praxis die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen sehr mühevoll, historisch rückwärtsgewandt und oft ohne Erfolg sind, ist zwar nicht zu leugnen, ändert aber an dem beschriebenen Risiko einer persönlichen Verantwortlichkeit für Fehlentscheidungen erst einmal nichts. Moderne Ermittlungs-Tools wie das Screening von EDV-Datensätzen lassen im Übrigen heutzutage schnell alte Explosionszeichnungen, Freigabeprotokolle, Minutes of Meetings und so weiter wieder auftauchen. Gegen eine Bestrafung gibt es im Übrigen selbstverständlich keine Versicherung. Strafrechtsschutz-Versicherungen können allenfalls die Kosten der strafverteidigenden Rechtsanwälte abdecken.


Produktsicherheitsrecht

Unabhängig von realen Vorfällen/Unfällen kontrollieren Marktüberwachungsbehörden über das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) und die Marktüberwachungsverordnung 765/2008/EG generell die Compliance der in Verkehr gebrachten Produkte mit den technischen Sicherheitsvorschriften des europäischen Rechts. Das kann etwa die juristisch zwingenden Vorschriften der Maschinenrichtlinie, der Druckgeräterichtlinie, der ATEX-Richtlinie, der EMV-Richtlinie oder sonstiger Vorschriften mit einer CE-Kennzeichnungspflicht betreffen. Im b2c-Bereich kommt ergänzend die Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG als zwingende Rechtsvorschrift hinzu. Behörden werden zwar oft auch – erst recht – nach realen Unfällen eingeschaltet. Ein Unfall ist aber denklogisch keinerlei Voraussetzung für eine produktsicherheitsrechtliche Intervention durch eine Behörde. Denn die staatliche Nachmarkt-Kontrolle setzt bereits dann ein, wenn einem Produkt abstrakt die Nicht-Einhaltung (Non-Compliance) der technischen Sicherheitsvorschrift nachgewiesen werden kann. Ob sich diese Abweichung bereits in einem Unfall realisiert hat oder nicht, ist oft Zufall und jedenfalls für die Behörde kein Argument. Es würde auch statistischen Zufall mit inhärenter Sicherheit verwechseln.

Kann die Behörde produktsicherheitsrechtliche Verstöße nachweisen, hat sie nicht nur die Möglichkeit, das als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld zu belegen. Sie kann – vor allem und kaufmännisch viel entscheidender – den zukünftigen Vertrieb derselben Produktgattung komplett untersagen (staatliches Vertriebsverbot) und sogar den Rückruf der bereits im Feld befindlichen Waren fordern (hoheitliche Rückrufanordnung). Auch solche Rückrufe wären bei einer Rückrufkosten-Versicherung prinzipiell abgedeckt; die Einbußen durch eine hoheitliche Vertriebsuntersagung sind dagegen nicht versicherbar.


Konsequenzen für die Praxis

Ein intelligentes technisches Risk-Management vermeidet Kollisionen mit allen drei genannten Rechtsgebieten, indem alle für das Produktportfolio geltenden Gesetze a) ermittelt und sodann b) in Konstruktion und Fabrikation umgesetzt werden. Eine vernünftige Produktbeobachtung mit Augenmaß ist geboten; ein technikrechtliches Risk-Management auftauchender Probleme im Feld wird notwendig, wenn diese Probleme potenzielle Sicherheitsrelevanz haben. Schließlich sollte die eigene Versicherungssituation optimal einjustiert sein.

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