Fachartikel

Einführung behördlicher Meldepflichten für Hersteller, Importeure und Händler von b2b-Produkten in Europa ab 2016

Rechtsanwalt Dr. Arun Kapoor, Associated Partner der Kanzlei Noerr LLP in München.


Hersteller, Einführer und Händler von b2b-Produkten sollten sich auf die neuen, erstmals ab April 2016 geltenden behördlichen Meldepflichten (so genannte Notifikationspflichten) einstellen. Bisher bestehen solche Meldepflichten lediglich für Verbraucherprodukte und – allerdings erst seit kurzem1) – für Bauprodukte.


Erweiterung der behördlichen Meldepflichten auf die B2B-Industrie


Die neuen Meldepflichten werden durch die sektoralen Binnenmarktrichtlinien eingeführt, die jüngst im Rahmen des so genannten Alignment Package an den New Legislative Framework (NLF) angepasst wurden2). Diese Richtlinien sind bereits seit Anfang 2014 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und müssen von den Mitgliedstaaten bis Anfang 20163) in nationales Recht umgesetzt werden. Damit sind künftig auch Hersteller, Einführer und Händler von Elektro- und Elektronikprodukten für die b2b-Branche, elektronischen Komponenten, Druckgeräten, Messgeräten, Aufzügen oder Explosivstoffen dazu verpflichtet, unverzüglich und proaktiv die zuständigen Marktüberwachungsbehörden in sämtlichen EWR-Staaten zu unterrichten, wenn von einem dieser Produkte im Feld ein Risiko ausgeht. Dem Schutzkonzept der neuen NLF-Richtlinien folgend, sind dabei nicht nur Risiken für die Sicherheit und Gesundheit von Personen relevant, sondern insbesondere auch Umweltrisiken4).


Die bereits heute bestehende behördliche Notifikationspflicht für Verbraucherprodukte wurde im Jahr 2004 durch Umsetzung der Allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG europaweit eingeführt. Vorbild dieser Regelung war für den europäischen Gesetzgeber insbesondere die in den USA bereits seit langem existierende Meldepflicht für Verbraucherprodukte gegenüber der Consumer Product Safety Commission (CPSC). Die Wirtschaftsakteure – allen voran die Hersteller von Verbraucherprodukten – sind seither europaweit dazu verpflichtet, sich proaktiv selbst bei den zuständigen Marktüberwachungsbehörden anzuzeigen, wenn sie wissen oder wissen müssen, dass von einem von ihnen vertriebenen Produkt ein Risiko für die Sicherheit und Gesundheit von Personen ausgeht5). Die b2b-Industrie blieb bisher dagegen von dieser gemeinhin nicht unzutreffend als „Selbstanschwärzungspflicht“ titulierten behördlichen Notifikationspflicht weitestgehend verschont. Da ändert sich nunmehr mit dem Anwendungsstichtag der Richtlinien aus dem Alignment Package. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist dabei das Datum des 20. April 2016, weil ab diesem Tag insbesondere die Regelungen der neuen EG-Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU und der neuen EMV-Richtlinie 2014/30/EU zwingend anzuwenden sind. Beide Richtlinien erfassen mit ihrem weiten Anwendungsbereich eine Vielzahl von b2b-Produkten, insbesondere auch elektronische Komponenten, die etwa als „Geräte“ im Sinne der neuen EMV-Richtlinie gegebenenfalls in Maschinen verbaut werden. Wirtschaftsakteure, die entsprechende b2b-Produkte vertreiben, waren bisher nicht gehalten, sich im Falle eines potenziell sicherheits- oder umweltrelevanten Problems mit einem ihrer Produkte Gedanken darüber zu machen, ob sie ihre diesbezüglichen Erkenntnisse mit staatlichen Marktüberwachungsbehörden teilen und sich von diesen gegebenenfalls bei der Planung und Durchführung von Korrekturmaßnahmen beaufsichtigen und (mehr oder weniger wohlwollend) begleiten lassen. Mit dem Anwendungsstichtag der neuen NLF-Richtlinien ändert sich dies gewissermaßen „über Nacht“.


Inhalt der neuen behördlichen Meldepflichten


Mit der Verpflichtung zur proaktiven Behördenmeldung sollen die zuständigen Behörden in die Lage versetzt werden zu überprüfen, ob die Wirtschaftsakteure auf Risiken, die von ihren Produkten ausgehen, angemessen reagieren und ob die von ihnen durchgeführten Korrekturmaßnahmen (zum Beispiel Produktrückrufe, öffentliche Warnungen) ausreichend sind, um die erkannten Feldrisiken zu minimieren. Die Pflicht zur proaktiven Behördenmeldung ist somit integraler Bestandteil der durch den NLF eingeführten, verstärkten Kooperationspflicht der Wirtschaftsakteure mit den zuständigen Marktüberwachungsbehörden6). Die jeweilige Meldepflicht besteht gegenüber den Behörden in jedem einzelnen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums, in dem das Produkt vertrieben wurde. Der Hersteller eines betroffenen b2b-Produkts muss also ab 20. April 2016 von sich aus in jedem Mitgliedstaat die dort zuständige Marktüberwachungsbehörde informieren, wenn er weiß (oder wissen muss), dass von diesem Produkt Risiken für die Sicherheit (oder die Umwelt) ausgehen. Der Umstand, dass die jeweiligen Richtlinien erst am 20. April 2016 zwingend anzuwenden sind, bedeutet dabei nicht, dass die Notifikationspflicht nur für solche Produkte gilt, die ab 20. April 2016 in den Verkehr gebracht werden. Der Anwendungsstichtag ist vielmehr maßgebend für die Meldepflicht selbst. Mit anderen Worten: Entscheidend ist, ob der jeweilige Wirtschaftsakteur am 20. April 2016 Kenntnis von einem Produktrisiko (auch bezüglich älterer Produkte) hat – wann das betreffende Produkt auf dem Markt bereitgestellt wurde, ist dagegen unerheblich.


Erfahrungen mit bestehenden Meldepflichten und absehbare Herausforderungen für die b2b-Industrie

Die auf die Wirtschaftsakteure der b2b-Industrie mit der neuen Meldepflicht zukommenden Herausforderungen lassen sich mit Blick auf die bereits bestehenden Meldepflichten für Verbraucherprodukte schon heute relativ zuverlässig vorhersehen: Zwar ist die zeit- und ressourcenraubende Ermittlung der inzwischen mehr als 30 international zuständigen Behörden des EWR durch die Einführung eines online-basierten Meldeformulars der EU-Kommission (so genannte Business Application) inzwischen – jedenfalls für die Meldung von Verbraucherprodukten – weitgehend entfallen. Nach wie vor besteht bei einer europaweiten Behördenmeldung das Risiko, dass einzelne Mitgliedstaaten von den Wirtschaftsakteuren unterschiedliche Korrekturmaßnahmen fordern. Damit tritt neben das eigentliche Problem, das der Wirtschaftsakteur mit dem betroffenen Produkt selbst hat, eine kommunikative Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten europäischen Behörden, die in der Praxis teilweise nur mit großer Mühe zu handhaben ist. Die Wirtschaftsakteure müssen sich dabei nicht nur mit den insgesamt 26 Amtssprachen der EWR-Behörden „herumschlagen“, sondern vor allem mit unterschiedlichen Interpretationen des europäischen Produktsicherheitsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten. Was in Griechenland als meldepflichtiges Risiko eingestuft wird, muss nach Einschätzung der zuständigen Behörden in Deutschland, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich noch lange nicht für notifikationsbedürftig gehalten werden. Auch die Notwendigkeit und den Umfang erforderlicher Korrekturmaßnahmen zur Minimierung des erkannten Produktrisikos schätzen die Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten erstaunlicherweise häufig sehr unterschiedlich ein.


Problematisch an der behördlichen Meldepflicht ist in der Praxis weiterhin, dass diese nach dem Gesetzeswortlaut grundsätzlich alle Wirtschaftsakteure gleichermaßen betrifft. Theoretisch müssen also etwa bei einem in der Schweiz hergestellten Produkt, das von einem französischen Unternehmen in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) eingeführt wird und anschließend in verschiedenen EWR-Staaten über den Handel vertrieben wird, alle beteiligten Wirtschaftsakteure entsprechende Behördenmeldungen absetzen. Zwar wird die Behördenmeldung des Händlers gegenüber einer solchen des Herstellers regelmäßig als nachrangig eingestuft werden können. Schwierig wird es gleichwohl immer dann, wenn Hersteller und Händler den meldepflichtigen Sachverhalt unterschiedlich bewerten und der Händler sich beispielsweise verpflichtet fühlt, ein Produkt gegen den Willen des Herstellers bei den Behörden anzuzeigen. Für diesen Fall empfiehlt es sich, dass Hersteller und Händler entsprechende vertragliche Regelungen vorhalten, mit denen sich gegenseitig verpflichten, sich über gegebenenfalls für erforderlich gehaltene Behördenmeldungen abzustimmen und wechselseitig zu informieren.


Risikobewertung als maßgebliches Entscheidungskriterium


Nach einer Entscheidung der EU-Kommission aus dem Jahr 2004 (2004/905/EG) besteht die heute geltende Meldepflicht für Verbraucherprodukte regelmäßig nur dann, wenn sich aus einer Bewertung des von dem Produkt ausgehenden Risikos ein solches der Kategorie „medium“ oder höher ergibt. Zur Risikobewertung wird dabei auf die in Anlage 5 der Entscheidung der EU-Kommission vom 16. Dezember 2009 (2010/15/EU) ausführlich erläuterte Methodik zurückgegriffen, die gemeinhin als „RAPEX-Risikobewertung“ bekannt ist. Es liegt auf der Hand, dass sich die Ergebnisse der von den Behörden nach dieser Methode durchgeführten Risikobewertung von Land zu Land unterscheiden können, sodass das Bestehen einer Notifikationspflicht im Einzelfall umstritten sein kann. Weniger offensichtlich ist für die Wirtschaftsakteure häufig der Umstand, dass sich auch die betroffenen Hersteller einer entsprechenden Risikobewertung bedienen können (und sollten!), um zu prüfen, ob sie im Einzelfall überhaupt zur behördlichen Selbstanzeige verpflichtet sind. Eine äußerst hilfreiche Begleiterscheinung einer – je nach Einzelfall durchaus aufwändigen – RAPEX-Risikobewertung ist, dass sich aus ihrem Ergebnis meist auch Inhalt und Umfang der gegebenenfalls erforderlichen Korrekturmaßnahmen ableiten lassen. Die RAPEX-Risikobewertung wird somit künftig auch für die b2b-Industrie absehbar eine deutlich prominentere Rolle spielen, solange der europäische Gesetzgeber in diesem Zusammenhang keine spezielleren Risikobewertungsmethoden identifiziert.


Sanktionen und strafrechtliches Beweisverwertungsverbot


Es ist zu erwarten, dass für Verstöße gegen die neuen behördlichen Meldepflichten in den einzelnen Mitgliedstaaten Sanktionen vorgesehen werden. Auch die behördliche Meldepflicht für Verbraucherprodukte ist heute in den meisten Mitgliedstaaten sanktionsbewehrt, wobei die Sanktionen durchaus unterschiedlich ausfallen. Während eine ausbleibende, zu spät erfolgte oder unvollständige Behördenmeldung in Deutschland als Ordnungswidrigkeit geahndet und mit Bußgeldern bis zu 10?000 Euro sanktioniert wird, kann derselbe Verstoß im Vereinigten Königreich sogar als Straftat verfolgt werden. Mangels bisher erfolgter Umsetzung der neuen NLF-Richtlinien in nationales Recht stehen die konkreten Sanktionen für Verstöße gegen die neuen behördlichen Meldepflichten für b2b-Produkte heute noch nicht fest. Es wäre allerdings keine Überraschung, wenn der deutsche Gesetzgeber die Sanktionierung an die bereits bestehende Gesetzeslage für Verbraucherprodukte anpassen würde.


Rechtlich noch kaum geklärt ist bis heute die Frage, inwieweit die Selbstanzeige eines Wirtschaftsakteurs über ein Produktrisiko von den Strafverfolgungsbehörden dazu verwendet werden darf, gegen die verantwortlichen Mitarbeiter des Wirtschaftsakteurs vorzugehen. Die Erfahrungen mit der Meldepflicht für Verbraucherprodukte haben gezeigt, dass die zuständigen Strafverfolgungsbehörden zum Teil wenig zimperlich agieren und mitunter ungeniert auf die von den Wirtschaftsakteuren im Rahmen der Meldepflicht übermittelten Informationen zurückgreifen. Und das, obwohl in Zusammenhang mit der Notifikationspflicht für Verbraucherprodukte in § 6 Abs. 4 ProdSG ein strafrechtliches Beweisverwertungsverbot verankert ist, dessen praktische Reichweite allerdings bis heute umstritten ist. Die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft geht wohl davon aus, dass lediglich die durch die „Selbstanzeige“ an die Behörden übermittelten Informationen als solche strafrechtlich nicht verwertet werden dürfen. Da die zuständigen Behörden allerdings gesetzlich dazu verpflichtet sind, den mitgeteilten Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären, erlangen sie durch entsprechende Ermittlungen sehr schnell weitergehende – und insoweit dann „eigene“ – Erkenntnisse über den mitgeteilten Sachverhalt. Diese „eigenen“ Erkenntnisse unterliegen dann mangels so genannter Fortwirkung nicht mehr dem eigentlichen Beweisverwertungsverbot und können von den Strafverfolgungsbehörden uneingeschränkt genutzt werden.


Für den notifikationspflichten Wirtschaftsakteur ergibt sich dadurch die äußerst unbefriedigende Situation, dass er – egal wie er sich entscheidet – Sanktionen zu befürchten hat: Kommt er seiner Meldepflicht nach, zieht das möglicherweise strafrechtliche Sanktionen nach sich. Unterlässt er die geforderte Behördenmeldung, stehen Sanktionen wegen des Verstoßes gegen die behördliche Meldepflicht im Raum. Es bleibt abzuwarten, ob der deutsche Gesetzgeber für die neuen Meldepflichten ein wirksames Beweisverwertungsverbot schafft, das sich auch auf Ermittlungsergebnisse der zuständigen Behörden anlässlich einer Notifikation erstreckt. Bis heute steht allerdings noch nicht einmal fest, ob der deutsche Gesetzgeber überhaupt ein strafrechtliches Beweisverwertungsverbot vorsehen wird. Die gänzlich fehlenden Beweisverwertungsverbote in Bezug auf Notifikationspflichten in anderen Bereichen (etwa für Lebensmittel und Medizinprodukte) zeigen, dass die (sinnvolle) Korrelation zwischen behördlichen Selbstanzeigepflichten und strafrechtlichen Beweisverwertungsverboten für den deutschen Gesetzgeber keine Selbstverständlichkeit zu sein scheint.


Handlungsempfehlung für die betroffenen Wirtschaftsakteure


Hersteller, Einführer und Händler von Produkten, die unter den Anwendungsbereich der neuen Binnenmarktrichtlinien des Alignment Package fallen, sollten sich beizeiten auf die neuen behördlichen Meldepflichten einstellen. Die Meldepflicht für zahlreiche b2b-Produkte besteht ab 20. April 2016. Jeder Wirtschaftsakteur, der an diesem Tag weiß oder wissen muss, dass von einem Produkt, das er in der Vergangenheit vertrieben hat, ein relevantes Risiko ausgeht, ist ab diesem Tag zur Selbstanzeige gegenüber den zuständigen Behörden verpflichtet. Wer entsprechende Risiken bereits vor dem Stichtag kennt, sollte sich damit auseinandersetzen, wie er mit dieser Kenntnis ab April 2016 umgehen möchte. Steht eine Behördenmeldung im Europäischen Wirtschaftraum in Frage, bedarf es einer sehr sorgfältigen Prüfung, ob eine Pflicht zur Selbstanzeige tatsächlich besteht und wie eine Behördenmeldung gegebenenfalls gestaltet werden muss, um weitere Turbulenzen zu vermeiden, die allein durch die Behördenmeldung als solche verursacht werden können. Zur Vermeidung einer schwer handhabbaren Kommunikationsflut mit unterschiedlichsten europäischen Behörden hat es sich für die Hersteller von Verbraucherprodukten in der Vergangenheit bewährt, die erforderlichen Behördenmeldungen strategisch sinnvoll zu staffeln und inhaltlich so aufzurüsten, dass die vom meldepflichtigen Wirtschaftsakteur selbst vorgesehenen Korrekturmaßnahmen der kritischen Überprüfung durch die zuständigen Marktüberwachungsbehörden jederzeit standhalten. Darüber hinaus empfehlen sich vertragliche Abreden zwischen Herstellern und Händlern, mit denen sich beide gegenseitig dazu verpflichten, sich über gegebenenfalls notifikationsbedürftige Sachverhalte abzustimmen und sich wechselseitig über durchgeführte behördliche Selbstanzeigen informiert zu halten.


1) Die Notifikationspflicht für Bauprodukte wurde mit der neuen Bauproduktenverordnung (EU) Nr. 305/2011 eingeführt, die seit 1. Juli 2013 unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten statuiert.

2) Das Alignment-Package umfasst insgesamt neun sektorale Binnenmarktrichtlinien, von denen inzwischen neun bereits im Amtsblatt der EU veröffentlicht sind.

3) Die Frist, binnen derer die Mitgliedstaaten die besonders praxisrelevanten neuen Binnenmarktrichtlinien (LVD und EMV) umsetzen müssen, endet am 19. April 2016.

4) Vergleiche etwa Art. 27 Abs. 3 lit. a) der Verordnung (EG) 765/2008.

5) Vergleiche Art. 5 Abs. 3 der Allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG, in Deutschland umgesetzt durch § 6 Abs. 4 ProdSG.

6) Vergleiche Art. R4 Abs. 9, Art. R5 Abs. 5 des Beschlusses 768/2008/EG.

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